Anspruch und Wirklichkeit

Da soll noch einer sagen, Literatur hat nichts mit Hoffnung zu tun. Der Hoffnung auf das vermeintliche Freibier nach Ende einer Lesung zum Beispiel. Geschehen jüngst im Literaturhaus Graz. Da gab es eine junge Autorin, die ihre Lesung außergewöhnlich reflektiert eröffnete. Nämlich mit dem eindringlichen Hinweis, dass die Anthologie, in der ihr Text erschienen ist, von der Literaturkritik ignoriert worden ist. Von der ganzen Literaturkritik? Nein, da gibt es die – Zitat – „äh, wie heißt sie noch, ach ja – Steirerkrone“. Die Autorin hat trotz intensiver Recherchen – Zitat – „in Google“ – nicht herausgefunden, zu welchem Redakteur das Kürzel unter der Kritik gehört, aber besonders kompetent könne dieser ohnehin nicht sein. Und zitiert jenen „Halbsatz“, der sich mit ihrem Text auseinandersetzt. Eins ist klar: Dieser Rezensent hat sie absolut falsch verstanden. Das müsse man nun doch in aller Deutlichkeit einmal sagen.

Ich weiß auch nicht, wer diese Rezension geschrieben hat. Aber ich würde ihm allein für die Leistung, dieses Buch gelesen zu haben, gerne ein Bier zahlen. (Ich habe es auch gelesen UND war bei der Lesung, das Freibier wäre echt gerechtfertigt gewesen, lieber Veranstalter). Dieser Rezensent hat viel guten Willen bewiesen und sein Medium sehr ernst genommen. So hat er beschlossen, mithilfe der Regionalausgabe seines Blattes eine lokale Lesung anzukündigen, die sich noch dazu um einen Bruchteil jener Region dreht, in der man erscheint. Graz.

Und dieser Redakteur hat Mut bewiesen. In der endlosen Debatte über die Funktion von Literaturkritik, zu der von Sigrid Löffler über Elke Heidenreich bis zu Marcel Reich-Ranicki sehr viel beigetragen wurde, hat er sich ausgeklinkt: Er beugt sich dem Wunsch des Lesers (nicht des Autors, wohlgemerkt!) und verlegt sein Schaffen auf den Buch-Tipp, statt sich mit Literatur-Kritik herumzuschlagen.

Da liegt allerdings auch das Problem. Ein Buch-Tipp ist nun mal eine Lese-Empfehlung, keine Lese-Warnung. Und hier kommt wahrscheinlich auch das Selbstverständnis einiger – aber wahrscheinlich nicht aller – Medien zum Tragen, die keine „Rezension“ geschrieben haben, also – äh – keinen Buchtipp. Sie wollten das Buch einfach niemandem empfehlen, liebe junge Autorin. Sei dankbar. Und seh es positiv: Auf diese Art und Weise wurdest du von sehr vielen Medien nicht missverstanden. Das ist doch auch was!

Und damit du in Hinkunft über den „Google“-Rand hinausblicken kannst, hier ein paar Lektüre-Empfehlungen: (mit herzlichem Dank an Daniela Strigl für ihre wunderbare Vorlesung zum Thema)

Wilfried Barner, Literaturkritik – Anspruch und Wirklichkeit. DFG-Symposion 1989. Stuttgart 1990

Thomas Anz, Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis. München: C.H.Beck 2004

Stefan Neuhaus: Literaturkritik. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004 (= UTB 2482)

Wendelin Schmidt-Dengler, Nicole Katja Streitler: Literaturkritik. Theorie und Praxis. Innsbruck-Wien: Studien Verlag 1999 (= Schriftenreihe Literatur des Instituts für Österreichkunde 7)

Gunther Nickel (Hrsg.), Kaufen! statt Lesen! Literaturkritik in der Krise. Göttingen 2005

 

14 Gedanken zu “Anspruch und Wirklichkeit

  1. Liebe Bloggerin,

    so einfach würde ich die Sache nicht darstellen, ein bisschen Ironie musst du mir schon zutrauen.
    Hier der Subtext: Auf meine Anfrage beim Herausgeber (!), der ja lokal involviert sein müsste, so meine Annahme, wer für diese kurze Buchbesprechung verantwortlich sei, erhielt ich den Hinweis: unbekannt. Auch ein Mail an den Redakteur der Zeitung blieb unbeantwortet, wenig Zeit bleibt, um für ein Mini-Event wie dieses noch weiter zu recherchieren.
    Was bleibt? Das ewig nette Google, das uns doch allen, Autor/inn/en wie Redakteur/inn/en stets zur Hand ist. Je schlechter bezahlt die Journalist/inn/en, desto billiger das Google.
    Meine ironische (!) Anmerkung zu Beginn der Lesung war eine halbernste Kritik, gerichtet an den anwesenden Hg. und Verleger, der sich mit seiner doch etwas pessimistischen Art, für ein Mini-Projekt wie dieses, nicht allzu viele Mühen um Kolportage, Budget und Lektorat gemacht hat. Letzteres fällt auf, nachdem man zwei Seiten des Buches überflogen hat.

    Mit Ach und Krach wurde hier eine grazer Anthologie zusammengestellt, hiermit schreibe ich die Kritik also gleich selbst, dies sei dann die gratis Zugabe, die es eigentlich schon gab, nämlich „Schlossberg Flash“, herausgegeben von Marusa Krese und Gerhild Steinbuch.

    Allerdings gab es noch eine zweite Buchbesprechung in einem Tiroler Blättchen, die um einiges pointierter und interessierter wirkte.
    Ich denke, dass die relevanten Leser/Käufer von solch gewagten, da schnellgemachten Kleinanthologien nicht im betreffenden Städtchen sitzen, auch nicht in den Metropolen, aber in vergleichbaren Städtchen mit ähnlichen strukturellen Gegebenheiten.

    Also ab nach Linz, Bozen und Eisenerz mit dem superpessimistischen „Schwarzbuch Graz“.

  2. ps. Es würde sich aber auszahlen, nach der Person, die hinter dem Kürzel „CH“ steht zu recherchieren. Am selben Abend wurde noch gemunkelt, diese Person hätte durchaus eine persönliche Disposition zur Pointe besagten Textes, wahrscheinlich auch eine vehemente Meinung dazu- dies kann den Text an sich und auch die Anthologie natürlich nicht aufwerten, aber hätte das Gemüt der Bloggerin vielleicht etwas besänftigen können- zusätzlich zum Freibier.

  3. liebe s.,

    herzlichen dank für deine comments, comment meinerseits folgt – so erfüllt bloggen seinen zweck. und in wahrheit gibt es ja eine wirkliche rezension, die du nicht erwähnt hast … hier wird das „intelligente kleine Graz-Dekonstruktions-Büchlein“ gewürdigt.

    http://korso.at/content/view/3393/157/

  4. liebe s.,

    du hast mit onkel hans gesprochen? (siehe zitat: anfrage an den herausgeber). wie hast du das geschafft? allen respekt…

    was die genese von anthologien über graz betrifft: wenn ich über weihnachten ein bissl zeit hab, schreib ich dazu gern was. immerhin wurde aus der kritischen annäherung „ich. stadtschreiberIn“ dann das schwer beliebige „schlossbergflash“, aus „fucking graz“ besagtes „glänzendes graz“. über die spanne zwischen intention und endprodukt könnte man ein eigenes buch machen. falls ich je eine diplomarbeit schreiben sollte, wäre das ins auge zu fassen 🙂

    lg, sonja

    ps: sorry – deine ironie an dem abend ist wohl nicht zu mir durchgedrungen.

  5. liebe sonja,

    der titel, also das überthema einer anthologie ist meiner meinung nach als anregung an die einen text beisteuernden schreibenden zu verstehen. das ergibt dann in der summe manchmal die von dir angesprochene beliebigkeit im resultat. (in diesem punkt stimme ich dir auch zu.) allerdings finde ich das immer noch besser, als lauter schlechte texte zu haben, die klar eine von den herausgeberInnen vorgegebene aufgabenstellung erfüllen. ich bezweifle nämlich stark, dass einem schreibenden menschen zu jedem thema ein text einfällt, der eine gewisse qualität hat UND das thema so anpackt wie sich das die herausgeberin / der herausgeber vorstellt. (das nicht auf die stadtschreiber anthologie bezogen, sondern auf die masse der schreibenden menschen, mich also miteingeschlossen.) oft haperts ja schon mit der umsetzung der gattung. du als lyrikerin, die du dich in einer mir sauschweren gattung bewegst, wirst mir da bestimmt zustimmen.

    ich fand es zum beispiel schade, dass du deinen text nicht drinnen haben wolltest, der sich sehr klar mit dem „thema“ beschäftigt hat. allerdings war, soweit ich mich erinnere, dein ausstiegsgrund kein ideologischer beliebigkeitsgrund, sondern ein finanzieller, aber vielleicht habe ich das auch falsch verstanden seinerzeit.

    im übrigen hätte ich es geschätzt, die kritik an einer meiner arbeiten von dir persönlich zu erfahren, bevor ich sie hier zufällig lese, zumal wir uns ja kennen. konstruktive kritik ist bei mir sehr willkommen, aber ich denke sie sollte so geäußert werden, dass sie mich in jedem fall und nicht bloß durch zufall erreicht.

    nichts für ungut.

    lieben gruß,
    gerhild

    ps: weil ich das hier an andrer stelle las: von gast gibt es eine genderkorrekte form. ist zwar nicht schön. ist aber da.

  6. liebe gerhild,

    ganz im sinne deines obenstehenden postings schick ich dir demnächst ein mail in puncto schlossberg-flash. hier wurde einiges verzerrt und über mehrere ecken kommuniziert (ich stehe also in der tradition!), mein damaliger ausstieg aus dem projekt und die sicht von außen darauf unterscheiden sich mittlerweile schon sehr. aber das alles im mail.

    aber sag: wie ist denn die weibliche form von GAST?

  7. Besucherin.

    Und: Dürften nur Frauen an die Wahlurnen, würden alle deutschen rechtsradikalen Parteien an der 5%-Hürde scheitern.

    It’s the women, stupid!

  8. Ps. Ich kenne den Herausgeber (Onkel Hans, siehe oben) nicht speziell gut, habe in Salzburg und Wien mehr Verwandte, als in Graz- war also zufällig dort.
    Wie nennst du deine Herausgeber? Schatz? Oder sogar Tante? Ich hätte sehr gerne eine Frau Tante oder eine Frau Schatz, die Verlegerin ist.
    Hei- das wär schön.

  9. Oje, ich versteh die Ironie schon wieder nicht. Ich bin davon ausgegangen, dass du weißt, dass „Onkel Hans“ eine geflügelte und viel gebrauchte, ja auch ironische Bezeichnung für den Herausgeber ist. Dein Exkurs über Verwandte lässt mich wieder daran zweifeln. Aber wahrscheinlich verbirgt sich dein Wissen hinter deiner Ironie, die ich einfach nicht verstehe.

    Was anderes – Hast du mein mail in Bezug auf die Identität von CH eigentlich jemals bekommen?

    PS. Wenn man sich Frau Winter und ihre Anhängerinnen, die es bestimmt gibt, so anschaut, frage ich mich, ob du mit der 5%-Hürde recht hast. Schließlich schließen wir gerne auf „die Frauen“ in unserem Umfeld, von denen wir ausgehen können, dass sie diese Parteien nicht wählen. Andererseits: Ich kenne auch keine Männer in meinem Umfeld, die für die hohen Prozente verantwortlich sind. Also gehe ich davon aus, dass es im Endeffekt immer Menschen sind, die so wählen, und hier sind die Frauen vielleicht nicht automatisch besser als die Männer. Ich mache mich auf die Suche nach dem Frauenanteil bei den letzten Nationalratswahlen…

  10. liebe sonja,

    ja bitte gerne ein mail. ich weiß aber nicht genau, was du mit „über mehrere ecken kommuniziert“ meinst, ich hab mich nur auf deine mails von damals bezogen, nicht auf mundpropaganda, die findet ihren weg eh nicht in mein hirn.
    aber mail wie gesagt: bitte, her damit!

    ad gast: besucherin ist sinnvoll, gästin kam mir wiederholt unter, existiert also wohl auch. (finde ich aber unschön.) die entscheidung für /gegen eine weibliche form hängt ja, denke ich, an der frage, ob man es mit einer geschlechtsneutralen bezeichnung zu tun hat, oder nicht. „gast“ ist für mich nicht geschlechtsneutral, deswegen würde ich auch eine weibliche form verwenden.

  11. liebe gerhild,

    auch meine mailadresse ist bereits erfunden. ich finde durchaus, dass die ereignisse von damals und deren genese und kontext in privaten rahmen gehören. bis bald, sonja

    ps: ich hoffe dein verschobenes stück im schauspielhaus wien gelangt doch noch zur aufführung. sehe deine texte sehr gern und hab wenig möglichkeiten, dafür nach deutschland zu reisen. was mich übrigens sehr beschäftigt, ist die tatsache, dass dramatiker heutzutage ständig neue texte für uraufführungen schreiben müssen und folgeinszenierungen an anderen theatern sehr rar geworden sind. wie in aller welt hältst du dem stand? von lyrik-bänden kann man ohne jeglichen druck bis zu zwei jahre leben…

  12. PS. ich erinnere mich grad an das jahr 2002, als wir (du, ich, johannes und tobit) bei wolfi bauer in der schreibwerkstatt waren. ist lang her und damals war so wenig vorherzusehen….

  13. liebe sonja,

    du hast privatpost. entschuldige bitte, dass es so lange gedauert hat.

    mein stück kommt genau ein jahr später, also nächste spielzeit, keine sorge ;o)

    der uraufführungsdruck: ich bin in der glücklichen position, dass eine weiterverwertung der texte stattfindet und ich deswegen nicht ständig neues abliefern muss. allerdings ändert das nichts daran, dass der uraufführungsdruck an sich eine ärgerliche und dumme sache ist. es gibt aber immer wieder was dagegen, zum beispiel die battle-autoren oder das angebot einer längeren arbeitsbeziehung mit einem haus.

    ps: ich war gar nicht bei wolfi bauer, wir warn gemeinsam im retzhof. das ist allerdings schon fast genauso lange her…

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